Aktiv werden
Grün und hilfreich – Besuchsdienste in Kliniken
Philipp Haaser, 2019 · 17.05.2024
Kriemhild Schmücker im Gespräch mit einer Patientin. Foto Philipp Haaser
Die Sonne fällt durch die hohen Fenster des Altbaus. Anni Thiermann faltet das Blatt der Länge nach, damit sie alle Namen auf der Liste im Blick hat. Mit Pfleger Mathias geht sie die Patienten auf seiner Station durch. Der Name einer älteren Frau lässt Thiermann aufhorchen. Sie kennt sie von ihren vorigen Besuchen. Sie liegt im Sterben. Der Ehemann, immer am Bett seiner Frau, habe ihr aus dem gemeinsamen Leben erzählt. Besonders die Berichte von den Reisen, die sie gemacht haben, sind Thiermann in Erinnerung geblieben. Sie will ihre Runde an diesem Tag im Zimmer der beiden beginnen. Vielleicht brauchen sie etwas.
Thiermann gehört zu den Grünen Damen und Herren. So nennen sich die ehrenamtlichen Helfer, die in Kliniken in ganz Deutschland und weltweit anzutreffen sind. Drei Kölner Gruppen erhielten in diesem Sommer den Ehrenamtspreis der Stadt, stellvertretend für alle, die in den Kölner Krankenhäusern seit Jahrzehnten aktiv sind: Die Gruppe im Evangelischen Krankenhaus in Kalk gibt es seit 1972, die im katholischen Sankt-Antonius-Krankenhaus in Bayenthal seit 1986. Außerdem wurden die „Helfenden Hände“ ausgezeichnet, die in den städtischen Kliniken ein ähnliches Ziel verfolgen.
Zeit zum Zuhören
Anni Thiermann ist 64 Jahre alt und wohnt in der Nachbarschaft des Bayenthaler Spitals. Als sie vor rund zwanzig Jahren vom Besuchsdienst hört, entschließt sie sich rasch zum ersten ehrenamtlichen Engagement ihres Lebens. „Das hat mich gefunden“, sagt sie. Inzwischen ist sie eine der beiden Teamleiterinnen der 15-köpfigen Gruppe. Sie besorgen Zeitschriften, Bücher und andere Dinge des täglichen Bedarfs, reichen Essen an, kümmern sich um Telefonkarten und vor allem: sie haben Zeit zum Zuhören. Seit die Idee Ende der 1960er Jahre aus den USA nach Deutschland kam, gehört auch ein Gespür für seelsorgerische Tätigkeiten zu dem Rüstzeug, das die Damen und die – wenigen – Herren mitbringen sollen.
Thiermann und ihre Kolleginnen sind in die Arbeitsabläufe auf den sieben Stationen, denen sie fest zugeteilt sind, integriert. Sie geben Informationen und Nachfragen weiter und erklären, wie die Abläufe im Haus funktionieren. Oft sind die Patienten froh, einfach jemanden zum Reden zu haben. Und sie entlasten damit die Pflegekräfte mehr denn je. In allen Krankenhäusern herrscht bekanntermaßen Personalmangel. „Es ist nicht mehr so wie vor zwanzig Jahren“, sagt Pfleger Mathias. Ihm und seinen Kollegen fehle inzwischen die Zeit, „sich mal ans Bett zu setzen“. Die Grünen Damen füllen diese Lücke. „Das ist gut für das Zwischenmenschliche“, sagt er.
Zwischendurch tauschen sich Kriemhild Schmücker und ihre Kollegin Anni Thiermann aus. Foto Philipp Haaser
Persönliche Bedürfnisse erfüllen
„Ich weiß nie, was mich erwartet“, sagt Thiermann. Manchmal kommt sie in ein Zimmer und merkt schnell, dass nichts benötigt wird. Oft genug kann sie aber „mit Kleinigkeiten helfen“. Sie erzählt von einem Obdachlosen, dem sie vor seiner Entlassung Kleidung besorgt haben, an die grantige Begrüßung eines Mannes, dem am Morgen das künstliche Gebiss gebrochen war. Sie brachte die Prothese zum Spezialisten und erntete nicht nur den Dank des Mannes, sondern auch eine Entschuldigung für sein Verhalten.
„Man darf das alles nicht persönlich nehmen“, sagt Thiermann, die Verständnis für den „Meckermodus“ mancher Patienten hat. Sie organisiert den Besuch des Klinikpfarrers und manchmal übernimmt sie selbst die Rolle der Tröstenden. „Manche schütten mir ihr Herz aus, weil sie ihre Familie nicht mit ihrer Krankheit belasten wollen“, erzählt sie. Ihr fällt auch auf, dass immer mehr Menschen alleine leben.
Die Ehrenamtler sind oft Menschen, die einiges an Lebenserfahrung mitbringen. Zu Thiermanns Gruppe gehört Kriemhild Schmücker. Sie ist achtzig Jahre alt und hat ihr Berufsleben selbst als Ärztin verbracht. „Es macht mir immer noch Freude“, sagt sie. Wenn es sich ergibt, schlägt sie am Bett der Patienten den Plauderton an. In ihrer Tasche stecken aber auch Faltblätter mit „tröstenden Worten“ aus der Bibel. Thiermann schätzt die Vielfalt in ihrem Team: „Jeder macht das anders, jeder bringt seinen Charakter ein.“
Manche Tage, erzählt Thiermann, seien belastend. Ihr gelinge es zwar meistens, das Erlebte „nicht mit nach Hause zu nehmen“. Doch es gibt Schicksale, die ihr im Gedächtnis bleiben. Sie lerne dadurch, wie Menschen mit dem Tod umgehen, Schicksalsschläge verkraften, trauern. Das nutze sie, um anderen Mut zu machen, Erfahrungen weiterzugeben. Über die Grenzen dessen, was sie tun kann, macht sie sich allerdings keine Illusionen. „Man kann nicht die Welt retten“, sagt sie.
Informationen
In fast allen Krankenhäusern gibt es Besuchsdienste wie die „Grünen Damen und Herren“. Wer sich engagieren möchte, fragt am besten vor Ort nach. Einen Überblick über die Aufgaben und Voraussetzungen bietet die Evangelische Krankenhaushilfe, ein bundesweit und ökumenisch tätiger Verband.
Tags: Ehrenamt , Klinik , Seelsorge
Kategorien: Ehrenamt